Nachbilder der Erinnerung

von Belinda Grace Gardner
Januar 2023

Sanfte Stille liegt über den Landschaften von Malgorzata Neubart. In Wasserläufen spiegeln sich Himmel und weichkonturierte Waldstücke, in denen sich schmale, grazile Bäume erheben. Die Künstlerin hält in Öl auf Leinwand oder Holz die wechselnden Gesichter eines Ufergebiets am Bug, einem Fluss im polnischen Masowien, fest. Nicht weit von ihrer Heimatstadt Warschau gelegen, ist ihr die idyllische Gegend schon seit ihrer Kindheit vertraut. Auch heute ist sie dort noch regelmäßig von Hamburg aus zu Besuch, wo sie nach Abschluss ihres Studiums weiterhin lebt, und nimmt die heimischen Eindrücke im Wandel der Zeit in sich auf. Ihre unter dem Begriff Orte zusammengefasste Landschaftsmalerei verläuft kontinuierlich im Hintergrund begleitend zu ihren Portraits: Bildnisse von Personen, die ihr meist persönlich begegnet sind und deren Gesichter für sie dennoch allgemeinmenschliche, über das Individuum hinausweisende Eigenschaften verkörpern. Das gilt auch für ihre Landschaften, die als Nachbilder der Erinnerung keine realitätsgetreuen Ansichten wiedergeben, sondern Stimmungen einfangen und traumartige Anmutungen zum Ausdruck bringen. In beiden Genres ihres Werks schöpft die Künstlerin aus ihrer eigenen Wirklichkeitserfahrung. Daraus formt sie durch Reduktion auf essenzielle Züge des Gesehenen und Erlebten Abstraktionen, die sich aus der orts- und personenspezifischen Verankerung befreien. Während die Portraitierten meist in meditativer Introspektion in sich selbst zu ruhen scheinen, wirken die Orte wie entrückte Terrains, die aus der Innenschau der Künstlerin hervorgegangen sind. In ihrer Malerei macht Neubart Zwischenzustände greifbar, in denen das Nahe und das Ferne, das Konkrete und das vom Gegenstand Befreite, Verdichtung und Auflösung, das Vertraute und das Unzugängliche in schwebender Balance gehalten werden: in Momenten gefasst, in denen sich das Wesen des Dargestellten zu erkennen gibt.

Belinda Grace Gardner